Kriegsende in Osterbrücken
Kriegsende in in Osterbrücken
Saarbrücker Zeitung: “Osterbrücker halfen den Gefangenen. Die frohen Gesichter der Soldaten sind auch heute unvergessen”
Hedwig Schumacher war eine der Frauen, die die Kriegsgefangenen mit Essen versorgten. Sie verliebte sich in einen von ihnen und heiratete 1946 Herbert Schumacher. Kleines Glück in schwerer Zeit.Im März 1945, also vor 60 Jahren, ging im St. Wendeler Landkreis der Zweite Weltkrieg zu Ende. In einer Serie berichtet die SZ über die letzten Kriegstage in der Region und lässt auch Zeitzeugen zu Wort kommen. Heute im 13. und letzten Teil geht es um Ereignisse nach Kriegsende in Osterbrücken.
Osterbrücken. Vor einiger Zeit erhielt der Osterbrücker Ortsvorsteher Rainer Meiser Post aus Kanada. Es waren ein Brief und ein Buch von W. John Koch, der heute in Edmonton lebt und in den Jahren 1945 und 1946 als deutscher Soldat in französischer Kriegsgefangenschaft auf dem Sprengplatz bei Osterbrücken arbeitete. Das in englischer Sprache verfasste Buch enthält seine Lebenserinnerungen, in denen auch einige Seiten über Kochs Zeit im Ostertal stehen. Die Osterbrücker Bürger hat er deshalb so gut im Gedächtnis behalten, weil sie ihn und seine Kameraden immer mit Essen versorgt und überdies zur Flucht verholfen haben. So schreibt W. John Koch an Ortsvorsteher Meiser: “Vom Spätherbst 1945 bis März 1946 lebte ich als deutscher Soldat in französischer Kriegsgefangenschaft im Lager Freisen und arbeitete als Teil einer Gruppe von zwölf Gefangenen auf dem Sprengplatz oberhalb des Dorfes Osterbrücken. Nie werde ich vergessen, wie während meiner Arbeit die Frauen von Osterbrücken unsere Gruppe täglich mit einem reichhaltigen und schmackhaften Mittagessen versorgten. Noch heute sehe ich die tägliche Gruppe von vier Frauen, manchmal auch mehr, an den schneereichen und trüben Wintertagen aus dem dicken Nebel mit ihren großen Körben auftauchen. Und dies geschah zu einer Zeit, als die Nahrungsmittelversorgung auch im Dorf Osterbrücken sehr knapp war.”
Am 28. März 1946 ereilte W. John Koch ein Unglück, als in seinen Händen eine Panzergranate explodierte. Mit schweren Verletzungen wurde er in das St. Wendeler Marienkrankenhaus eingeliefert. Nach seiner Genesung gelang ihm vor dort aus mit zwei anderen verletzten Kriegsgefangenen am 16. Mai 1946 die Flucht.
Mit Kleidung versorgt
“Und noch einmal”, so schreibt Koch, “wurde ich von den Einwohnern im Dorf Osterbrücken gütig versorgt. Es war am Tag unserer Flucht aus dem Krankenhaus. Drei von den Frauen, die uns das Essen zum Sprengplatz gebracht hatten, kamen in das Marienkrankenhaus und brachten uns anständige Zivilkleidung. Am nächsten Tag flüchteten drei von uns auf direktem Weg nach Osterbrücken, wo wir bei einer Familie den Abend und die Nacht verbrachten, um dann den ersten Frühzug in Richtung Bad Kreuznach zu nehmen. Was ich und die anderen Mitglieder des Sprengkommandos und meine zwei Fluchtgenossen aus dem Marienkrankenhaus damals an Beistand und gutem Willen von den Osterbrücker Menschen erfahren habe, gehört zu den Lichtblicken in dieser nicht einfachen Zeit. Es ist etwas, was ich nie vergessen werde.” 1952 hat John W. Koch noch einmal einen Besuch in Osterbrücken gemacht und mehrere Familien aufgesucht, deren Mitglieder bei der Versorgung der Soldaten auf dem Sprengplatz mitgeholfen haben. Damals bedankte er sich bei ihnen, dass sie ihm und seinen Kameraden durch ihre Hilfstaten das Leben im Freisener Lager erträglich gemacht haben. In seinem Buch hat Koch über die Hitlerjahre im Zusammenhang mit der Geschichte seiner Familie geschrieben. Das 15. Kapitel und besonders die Seiten 242 bis 252 beziehen sich auf seine Kriegsgefangenschaft und die Arbeit auf dem Sprengplatz. Das Buch liegt nur in englischer Sprache vor.
Osterbrücken. Mit wachem Geist und einem Kopf voller Erinnerungen sitzt die 79-jährige Hedwig Schumacher am Tisch und erzählt von der Zeit nach dem Krieg, von ihren Wegen zum Sprengplatz mit dem Essen, das sie den Soldaten gebracht hatte. Und auch davon, wie sie auf dem Gelände in der Nähe des Weiselberges ihren späteren Mann Herbert kennen gelernt hatte. “An diesen Soldaten Koch (Foto: SZ), der jetzt das Buch geschrieben und die Osterbrücker so gelobt hat, kann ich mich auch noch dunkel erinnern”, berichtet sie. Weit draußen vor dem Dorf, auf der “Scharmeshöh”, habe der Sprengplatz gelegen, wo zwölf deutsche Soldaten unter französischer Aufsicht jeden Tag Munition sprengen mussten. Die Munition sei an den Bahnhöfen und in den Wäldern eingesammelt und von Bauern mit Fuhrwerken dorthin transportiert worden. Die Soldaten hätten damals im Freisener Barackenlager unter ärmlichen Bedingungen gewohnt. “Im Dorf sprach sich bald herum, dass die Soldaten nur wenig zu essen bekamen, wahrscheinlich nach ihrem kärglichen Frühstück den ganzen Tag über nichts mehr”, erzählt Hedwig Schumacher. Als 19-Jährige habe sie sich mit anderen Mädchen getroffen und beratschlagt, wie sie den Soldaten helfen könnten. Plötzlich sei ihnen die Idee gekommen, von Haus zu Haus zu gehen und die Osterbrücker um Essen zu bitten.
Obwohl die Leute selbst nicht viel gehabt hätten, hätten sie jeden Tag etwas von dem abgezweigt, was sie selbst zum Leben brauchten: Kartoffeln, Gemüseeintopf, Suppe, Eier und Waffeln. In Gruppen zu je vier Mädchen seien sie dann abwechselnd jeden Tag zum Sprengplatz marschiert, bei Regen und in Schnee und Eis, bei mildem und eiskaltem Wetter. Noch heute sehe sie die frohen Gesichter der Soldaten vor sich, die mit diesen Mahlzeiten ihren Hunger stillen konnten. “Aber die Franzosen aßen auch tüchtig mit”, weiß sie noch und sagt es ganz ohne Neid.
Nachts geflüchtet
Einer der Soldaten, der 20-jährige Herbert Schumacher, gefiel ihr offenbar schon vom ersten Tag an. Bald konnte auf ungewöhnliche Weise eine etwas engere Verbindung zu ihm geknüpft werden. Einige Mitglieder dieses Sprengkommandos fassten nämlich den Entschluss, sich abzusetzen. Sie begaben sich nachts in verschiedene Osterbrücker Häuser. Auch Herbert Schumacher gehörte dazu und landete bei der 19-jährigen Hedwig. Ihre Eltern schenkten dem Soldaten Zivilkleider. Danach machte sich die Gruppe zu Fuß auf nach Lauterecken und von dort mit einem Güterzug Richtung Heimat. Herbert erreichte bald sein Heimatdorf in der Nähe von Eutin in Schleswig-Holstein. Der Kontakt zwischen den beiden jungen Leuten riss von jetzt an nicht mehr ab. Viele Briefe wurden ausgetauscht. Im September 1946 war es dann soweit: in Osterbrücken wurde geheiratet. “Es war immer noch eine arme Zeit”, erinnert sich Hedwig Schumacher.
“Zur Hochzeit erhielt ich ein Stück Gesichtsseife, das war damals eine Kostbarkeit.” Für die Hochzeitsfeier war nur ein Stück Fleisch vorhanden. Damit jeder Gast etwas davon abbekam, wurde Gulasch gemacht. Dazu gab es Kartoffeln, Endiviensalat und als Nachtisch ein Stück Zwetschenkuchen. “Das war in der Nachkriegszeit ein Festessen”, erinnert sich die Osterbrückerin im Gespräch mit der SZ.
W. John Koch lebt heute in Kanada.